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Kate Nash

Aktualisiert: 30. Okt. 2021

Während ich hinter der Bühne der Arena Oberhausen und vor der schweren Metalltüre mit der Aufschrift „Kate Nash“ auf ein Zeichen warte, treffe ich zufällig einen alten Bekannten. Christoph von Freydorf, Sänger der Band Emil Bulls, kommt mir lachend entgegen. Er freut sich mich zu sehen, nein, nicht ganz richtig, er freut sich zu sehen, dass ich einen Kapuzenpulli seiner Band trage und ich freue mich, dass er nicht nur den Kapuzenpulli erkennt, sondern auch mich noch. Immerhin ist es schon zwei Jahre her, dass ich dank ihm meine ersten Bandfotoschritte machen konnte, während der The Life Acoustic Tour, bei der damals ein gewisser Bosse noch Support war und nicht mehr musikalisches Gepäck dabei hatte, als seinen Gitarrenkoffer, nicht mehr war, als ein Junge mit einer Gitarre, der nur spielen wollte und noch einen Platz fand im Sprinter der Bulls auf dem Weg durch Deutschland.

Dann geht irgendwann, fast wie von selbst, die Metalltüre auf und ich trete in einen fast vollständig dunklen Raum. Der Raum ist aber nicht nur dunkel, sondern auch schwarz, was ihn noch dunkler macht, schwarze Farbe an den Wänden und ausgehängt mit einem schwarzen Tuch, das im Zentrum des Raumes, quadratisch angeordnet, nochmal einen kleineren Raum formt, in dem ich irgendwas Mysteriöses erwarte, irgendwas mit Area-51, Keyser Söze vielleicht oder eine schwebende und von meinem Eintreten gestörte Kate Nash, die mich verstört und irritiert, mit irren Augen anschaut und mit einem blutverschmierten Mund, der grade noch ein Stück Fleisch aus dem (wäre es kalt genug, sicher noch lebendig dampfenden) Ochsenherz gerissen hat, das sie vor sich in beiden Händen hält, zarte aber psychotisch unberechenbare, verkrampfte Hände, an denen die Knöchel weiß hervortreten und an denen herab sich ein rotes Flussdelta ergießt, während sie mir mit einer Stimme, wie von einer zu langsam ablaufenden Schallplatte, träge so etwas wie „Ich bin viele!“ entgegengrunzt oder „Es reibt sich die Haut mit der Lotion ein.“

Doch als ich auch den Raum im Raum betrete, ist dort nichts dergleichen und was ich erblicke, hätte sich nicht einmal meine verhaltensauffällige Fantasie selbstständig ausmalen können. Ich bin vollkommen fassungslos und zugleich enttäuscht. Alles, was ich sehe, ist eine ganz normale Stehlampe und ein ganz normales dunkles Sofa, die beide auf einem dunklen Teppich stehen oder über einem Schwarzen Loch schweben, das kann ich nicht so genau erkennen. Auch sonst erkenne ich eigentlich nichts, als käme dahinter direkt der Weltraum, ein sternenlos bewölktes All, das dort im Raum hängt, weil die Künstlerin sich das so wünscht und so braucht auf ihrer Tour, so wie Beyoncé ausschließlich auf 22,2 Grad temperierte Räume benötigt, um lebensfähig zu bleiben oder Lady Gaga eine Schaufensterpuppe mit pinkfarbener Perücke oder Madonna rosa und weiße Rosen, die nicht länger, aber auf den Tod auch nicht kürzer, als 15,24 Zentimeter sein dürfen, weil ihr sonst der Himmel auf den Kopf fällt oder sowas, hab ich mal gehört. Da kann man sich als Kate Nash doch auch mal das Weltall wünschen oder zumindest ein Schwarzes Loch.

Für einen Moment stehe ich eine gefühlte Ewigkeit da und starre sprachlos, fast apathisch das dunkle Nichts an, als wäre es ein schlimmer Unfall auf der Gegenfahrbahn. Es ist niemand zu sehen und vollkommen still und ich habe das Gefühl daran auch nicht das Geringste ändern zu können, so als habe mir das Schwarze Loch all die komischen, bunten Worte in meinem Kopf gestohlen und jedes Geräusch verschluckt. Und dann, dann höre ich doch etwas, ganz leise dringt es zu mir durch. Es ist mein Name, der mir geflüstert im Ohr dröhnt. „Atréju“, sagt jemand und dann noch einmal, „Atréju“. Und dann steht sie plötzlich neben mir, blass wie die Kindliche Kaiserin vor dem Nichts, das von diesem Hinterbühnenloch in Oberhausen aus, beginnt die Welt aufzufressen. Es ist Kate, die so plötzlich neben mir steht, wie Menschen in Wes-Anderson-Filmen plötzlich dastehen, als hätten sie schon die ganze Zeit dagestanden und vermutlich hat sie das auch, während auch ich neben mir stand – und die Kamera in meinem Kopf fährt zur Seite und holt sie ins Bild.

Ich sage „Hallo“ und ich glaube, sie lächelt mich aus. Dann setzen wir uns und schweben mit der dunklen Couch über das Schwarze Loch durch den Raum im Raum. Kate ist ein bisschen erkältet und wir unterhalten uns darüber, dass das ja doof ist, wenn man singen muss und so und was man dagegen tun kann und wie die Tour so bisher war und, dass ja auch bald Weihnachten ist und, dass dann krank sein ja auch wieder doof ist. Sie ist nett, zurückhaltend und macht gut mit. Auf ihrem Zeugnis würde stehen, „hat sich stets bemüht“. Doch auch sie hat nicht viel Zeit, zehn Minuten. Zehn Minuten, denke ich, die Geschichte wiederholt sich.


Oberhausen, im Winter 2010


Kate Nash (*1987 – britische Musikerin)

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