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Luigi Colani

Aktualisiert: 30. Okt. 2021

Luigi Colani sieht aus wie ein Schaf, ein großes, stolzes Schaf. Mit seinem dicken, langen, weißen Strickpullover greift er der Jahreszeit voraus. Sein feiner, weißer Schal, über dem Rollkragen zusammengebunden, scheint dagegen eher Zierde als nützlich. Dicke, weiße Socken, in weißen Schuhen, packen ihn vollständig in Watte. Am Handgelenk, über dem grobmaschigen Ärmel, eine schwere Uhr, die direkt ins Auge fällt, ein Prototyp für Astronauten, erzählt er später, natürlich von ihm entwickelt. Ich merke schnell, dass Bescheidenheit nichts ist, womit es der Designer übertreibt, aber bei seinem Lebenswerk gibt es dazu auch irgendwie keinen Grund. Und noch etwas merke ich schnell: Fragen beantwortet Colani nur so lange er das möchte und das dauert im Schnitt zwei Sätze lang. Dann beginnt er grenzenlos abzuschweifen, ist darin aber konsequent und schweift auch von den Abschweifungen immer wieder ab, bis seine Antworten mit meinen Fragen nicht mehr das Geringste zu tun haben wollen. Und jede Abschweifung trägt ihn und mich dorthin, wo es wirklich interessant wird, zu groß, zu unglaublich ist sein Leben, zu zahllos die Dinge, die er erlebt hat, zu umfangreich sein Schaffen, als sich an einer einzigen Frage aufzuhalten und ich bin ihm dankbar für diese verbalen Exkursionen.

Er redet und redet und immer wieder vergisst er dabei Luft zu holen. Als sei die Botschaft lebenswichtiger, dringlicher als das Atmen, redet er immer wieder, bis ihm die Luft ausgeht und presst seine letzten Worte in das letzte bisschen Luft, das ihm bleibt, stößt sich dabei aus seinem tiefen Sessel ab, als wolle er die Worte herausstoßen, wird lauter und die Stimme geht in die Höhe. Dann kehrt kurz Ruhe ein, die wie ein Schlusspunkt hinter seiner Antwort steht. Keiner seiner Monologe wird weniger als zehn Minuten dauern und doch waren Momente für mich nie weniger ewig als heute. Colani wirkt wie ein moderner Märchenerzähler, ein verrückter Wissenschaftler, ein Dr. Emmett Brown, dessen entgrenzter, visionärer Geist ein Leben lang unzähligen Produkten unglaubliche, weltberühmte Designs verpasst hat. Doch viele andere seiner Entwürfe blieben technisch unumsetzbar. Damit ist er ebenso eine tragische Figur, immer wieder auch gescheitert in seiner Genialität.

Ein um die andere Anekdote haut er raus, wie ein Großvater, der die tollsten Abenteuergeschichten erzählt. Er erinnert sich an die Italiener, die ihn zum Nachfolger Da Vincis machen wollten. In was genau erklärt er mir allerdings nicht und wer genau die Italiener waren auch nicht. In Frankreich wollte ihn mal ein Flugzeugbauer engagieren und als Residenz für die Zeit der Vertragsverhandlungen, habe er sich einfach mal ein Schloss gekauft. Auf den Microniden, eine Inselgruppe, von der ich noch nie gehört habe, die ich aber trotzdem erwähne, weil es so colanisch gut passt, gebe es eine Lagune, „da taucht nur der Colani, da ist sonst niemand“. Sein Großvater sei Schneider des Kaisers im preußischen Berlin gewesen und Erfinder eines Mantels, der noch heute den Namen Colani trage.

Stimmt all das, was er sagt, ist er eine im höchsten Maße beeindruckende Persönlichkeit und so abwegig viele Dinge für mich auch erstmal klingen mögen, letztlich bleiben sie möglich. Kein Mal begegne ich Widersprüchen, Nachfragen kann er fundiert und mit lebendigen Erinnerungen beantworten, in technischen Belangen kennt er sich aus und auch den Colani-Mantel, den gibt’s. Und während er mit jeder Anekdote höher und weiter abzuheben und abzuschweifen scheint, bleibt mir in größerem und zunehmenderem Maße, als der Zweifel an der Wahrheit seiner Geschichten, der Glaube daran.


Karlsruhe, im Herbst 2013

Luigi Colani (*1928 als Lutz Colani – deutscher Designer)

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